Zerrbild der Türkei nach dem Putschversuch – MK 29-16

Die Nachrichten über einen Militärputsch in der Türkei haben am 16. Juli alle Europäer in helle Aufregung versetzt. Schnell war klar, dass ein Teil des türkischen Militärs versucht hat, die Macht im Land mit militärischer Gewalt zu übernehmen, was jedoch gescheitert ist. Schon mehrfach wurde im Land Türkei geputscht, zuletzt im Jahr 1980, weil sich das Militär als Hüter des Rechtsstaates sieht. Im Jahr 1980 ist der Putsch gelungen und das Militär hat die Macht der Regierung Demirel entrissen, um die Operation zum Schutz und zur Sicherung der Republik bei der instabilen Lage der Türkei in den 1970-er Jahren durchzusetzen. Eine Volksabstimmung über die vom Militär vorgeschlagene neue Verfassung im November 1982 brachte eine Beruhigung für das Land mit sich. Erst die Regierung um Bülent Ecevit erwirkte ab 1999 umfassende Reformen im Zivilrecht für die Türkei, welche die Menschenrechte und die Freiheitsrechte stärkten. -Ein Militärputsch ist ein klarer Rechtsbruch und Vergehen gegen die Bürger eines Staates und ist deswegen ganz klar zu verurteilen!

Wie ist es eigentlich zu diesem Putsch gekommen? Die Politik Erdogans zielte seit einiger Zeit zunehmend auf ein Präsidialsystem in der Türkei, welches ihm die alleinige Macht garantieren sollte. Schon die letzte Wahl war darauf angelegt, die absolute Mehrheit zu erreichen. Dieses war gescheitert. Die Regierung ist zunehmend auch außerhalb des gesetzlichen Rahmens gegen Regimekritiker vorgegangen. Proteste der Bevölkerung wurden brutal durch die Polizei bekämpft und nicht zugelassen. Weiterhin hat Erdogan zumindest die Aktionen des IS geduldet, wenn nicht gar unterstützt, wie zum Beispiel mit illegalen Rohölkäufen des Staates. Journalisten, die Verbindungen zum IS aufdeckten wurden verhaftet und die Richtung der Politik blieb. Außerdem wurden die aufkeimenden Friedensaktionen mit den Kurden abrupt unterbrochen und die vermeidlichen Feinde der Türkei mit Waffen bekämpft. Dadurch hat Erdogan bei vielen Bürgern den Eindruck des starken Mannes im Staat vermittelt und so vermehrt Zuspruch erhalten. Mit der Mehrheit seiner AKP im Parlament hat es Erdogan geschafft, die Immunität von 100 Politikern der Opposition aufzuheben, um gegen diese mit zweifelhaften rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Der Staatspräsident Erdogan hat mit speziellen Maßnahmen zur Erweiterung seiner persönlichen Macht viele Grenzen überschritten und den Staat in eine unsichere Lage gebracht, dadurch auch vielen Menschen Schaden zugefügt. Die Justiz wurde zerpflückt und zahlreiche Journalisten verhaftet. Es war ein Machtstreben Erdogans ohne Grenzen, weil er ausschließlich seine persönlichen Ziele erreichen wollte. Das Land mit den Bürgern der Türkei wurde so von ihrem Präsidenten in unsichere Zeiten geführt.

Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Ein verunsichertes Land stolpert so durch den missglückten Putsch in die Lage der absoluten Instabilität. Nein, man kann es sich nicht vorstellen, dass dies von Erdogan so gewollt oder geplant wurde, weil es einfach keinen Sinn macht. Jedoch könnte es wohl so sein, dass Erdogans Geheimdienst die Ansätze früh erkannten und deswegen Gegenmaßnahmen einleiten konnten. Die Putschisten mussten verfrüht handeln und die Aktionen waren zum scheitern verurteilt. Mittels Medien hat Erdogan die Menschen für seine Zwecke auf die Straße geschickt, um gegen den Umsturz zu protestieren, was mit einem hohen Gefahrenpotential verbunden war. Diese Turbulenzen führten zu teils chaotischen Szenen auf den Straßen. In den Auswirkungen des Putsches hat dies zu 265 Toten geführt. Der Präsident überlebte den Putschversuch nur mit Glück und Zufall.

Nach den Vorgängen hat Präsident Erdogan den Putschversuch als „göttliche Fügung“ bezeichnet und von nun stattfindenden „Säuberungen“ gesprochen. In dieser Ausnahmesituation wird nun drei Monate per Dekret regiert und es war schon die Rede von einer Verlängerung. So begann dann die Jagd auf Gegner oder vermeintliche Gegner durch geplante Aktionen der Polizeiorgane. Wer, wo und wie verhaftet werden sollte war sicherlich schon in früherer Zeit in den „schwarzen Listen“ von Präsident Erdogan festgelegt, denn soviel Zeit ist nach dem Putschversuch nicht vergangen. So kam es dazu, dass über 10000 Beschuldigte in Haft kamen. Es wurden verhaftet: Staatsbedienstete, Richter, Staatsanwälte, Hochschuldozenten, Lehrer, Journalisten und viele Bürger, die verdächtigt wurden, an dem Putschversuch beteiligt gewesen zu sein. Außerdem kam es nach Regierungsaussagen zu einer radikalen „Bereinigung im Militärwesen“. Zusätzlich kam es zu Schließungen von Wohltätigkeitsorganisationen, Gewerkschaften und Stiftungen, vieles davon deswegen, weil sie dem früheren Weggefährten Gülen nahe gestanden haben sollen. So kam es zu dem großen Rundumschlag von Erdogan als Rache oder besser durch die günstige Situation des gescheiterten Putsches. Alles was irgendwie den Machtdrang von Erdogan stören könnte fiel unter den Begriff Putschisten, Terroristen, Anhänger von Gülen und die waren Gegner, Gegner, die es auszuschalten galt. Alles soll unter dem Oberbegriff Rechtsstaatlichkeit ablaufen, was jedoch kaum jemand glauben mag.

Die Aufwiegelung der Menschen als Erdogans schärfste Waffe spaltet die Bevölkerung der Türkei gravierend und trennt damit Befürworter oder Gegner der Politik des nach absoluter Macht strebenden Präsidenten. Es breitet sich allgemeine Angst in der Türkei unter den Menschen aus, die auch teilweise zu Panikreaktionen führt. Hinzu kommt noch, dass 11000 Pässe für ungültig erklärt wurden, um die Menschen zu verbannen, die vielleicht dem Chaos entfliehen wollten. In einem Anflug von überzogenem Machtgebaren kam es seitens der Regierung der Türkei zur „Rückbeorderung“ der im Ausland arbeitenden türkischen Wissenschaftler. So erinnern alle Maßnahmen an eine Art Hexenjagd auf alles und jedes, was irgendwie die Machtentwicklung des Regimes Erdogan in der Türkei stören könnte. So möchte wahrscheinlich später einmal Präsident Erdogan in einem Atemzug mit dem Gründer der Türkei Cemal Atatürk genannt werden. Den entsprechenden Palast hat er sich ja schon bauen lassen. Das passt also schon einmal.

Die Wirtschaft der Türkei wird extrem unter dieser Entwicklung leiden und bei dieser Verunsicherung ziehen Investoren ihr Kapital ab. Der Einbruch der Wirtschaft wird sich deutlich zeigen und zu Veränderungen im Warenaustausch mit Europa führen. Bei den Reisegesellschaften ist es jetzt schon zu spüren, dass die Touristen vermehrt ausbleiben. Sicherlich führt diese unsichere Situation auch bei etlichen Bürgern der Türkei dazu, dass man sich einen Aufenthalt außerhalb der Türkei vorstellen kann. Die bekannte Entwicklung der konzentrierten Macht war in der Türkei noch nie von langer Dauer, das zeigt die Geschichte. Zusätzlich ist spürbar, dass sich die Türkei durch die Konzentration der Regierungspartei AKP im Parlament zu einem islamischen Staat entwickeln könnte und so die Trennung von Staat und Religion wieder verloren geht.

Man muss sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die EU-Eingliederungsgelder in Milliardenhöhe seit 2007 überhaupt bei der Türkei eine Sinn ergeben. Diese sollten schwerpunktmäßig zur Förderung der Demokratie, der Zivilgesellschaft sowie der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei dienen und sicher stellen, dass die Türkei die Aufnahmekriterien für den Beitritt in die Europäische Union erreichen kann. Nun wirkt die Entwicklung zu einem autoritären Regime dem entgegen. Die Fördergelder zwischen 2007 und 2013 betrugen bereits 4,8 Milliarden Euro und es sollen noch weitere Gelder fließen. Die Entwicklung in der Türkei für eine Aufnahme in die EU würden wirkungslos verpuffen. Wie will Erdogan nun weiter vorgehen? Kommt es wirklich wieder zu einer demokratischen Rechtsstaatlichkeit ohne Einschränkung der Menschenrechte? Zurzeit gibt es für viele Fragen zur Entwicklung in der Türkei keine Antwort, weil sich der Staat in einer abstrusen Situation befindet. Kann sich die Lage in der Türkei mit den Säulen der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte wieder stabilisieren? Die Forderung der Wiedereinführung der Todesstrafe ist dafür kein gutes Zeichen. Welchen Weg geht nun die Türkei?

26.07.2016 – WM

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