Die solidarische Bürgerversicherung – Pro oder Kontra? – MK 02-18

Das Gesundheitssystem in Deutschland hat schon einige Reformen hinter sich, die nicht wesentliche Kostensenkungen oder eine Beseitigung der Systemprobleme erbracht haben. Dieses Gesundheitssystem soll eine Versorgung der Bundesbürger garantieren, jedoch bei der gesetzlichen GKV soll es sich auf das Sinnvolle und Notwendige beschränken. Dennoch gibt Deutschland vom BIP (Bruttoinlandsprodukt) 11,3% für die Gesundheit der Bürger aus, was einem Geldwert von 344,2 Milliarden Euro entspricht (2015). Damit zählt dieses Gesundheitssystem zu den teuersten auf dieser Welt, genau gesagt ist Deutschland damit auf dem dritten Platz.

Die Befürworter dieses Zweiklassensystems bestehend aus der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung halten dies für absolut optimal. In diesem gewinnorientierten Gesundheitssystem bekommen die Einen das Notwendigste und die Anderen das Bestmögliche. Dieses soll das Gesundheitssystem der zwei Säulen in Deutschland darstellen. Es sind Versicherte, die mit 72,56 Millionen gesetzlich (GKV) und mit 8,77 Millionen privat (PKV) versichert sind. Die gesetzlichen Kassen sind veranlasst, alle Versicherungsnehmer mit entsprechenden Merkmalen bei sich aufzunehmen. Die privaten Kassen können alle Versicherungsnehmer aufnehmen, die ihnen nach ihren Richtlinien recht und genehm sind, nämlich die, die genug verdienen und nicht wirklich gesundheitlich belastet sind. Jedoch gibt es auch viele privat Versicherte, die es sich wünschen, wieder in die gesetzliche Versicherung zu wechseln. Doch es geht nicht, weil sie den Moment verpasst haben oder ihr derzeitiger Status einen Wechsel nicht erlaubt. Somit zahlen diese Versicherten einen mitunter hohen Beitrag zur Krankenversicherung. Doch es gibt im System der Privaten auch Versicherte, die als frühere Nichtzahler nun zu den Privilegierten (z.B. Beamte) gehören.

Viele verneinen die Fakten der Ungleichbehandlung und sagen, dass alles gerecht zu geht. Dennoch ist es kein solidarisches Gesundheitssystem bei dem alle an den aufkommenden Kosten gleichermaßen beteiligt sind. Die Systemversorgung ist dennoch ungleich und stellt infrage, ob es den Standard und die Luxusvariante gleichermaßen verkraften kann, ohne dadurch Nachteile oder eine Bevorteilung entstehen zu lassen. Die Luxuszahler sagen, wir bezahlen das auch und was kümmern uns die Kassenpatienten. Das spaltet unsere durch Spaltung schon beschädigte Bundesrepublik noch mehr. Die Kassenpatienten sagen, schau dir die Privatpatienten an, die ohne viel Wartezeit direkt zum Arzt können, schneller Termine kriegen und auch vielfach eine andere Behandlung bekommen. Natürlich muss man auch erwähnen, dass die Ärzte bei Privatpatienten für die gleiche Behandlung andere Kostenansätze finden, die den Verordnungen entsprechen. Somit sind die Privaten lukrativer für den behandelnden Arzt.

Nun kommen doch plötzlich (obwohl eigentlich schon länger) einige Politiker auf die Idee, eine andere Krankenversicherung ins Leben zu rufen. Sie wird als solidarische Bürgerversicherung bezeichnet, die alle von einigen so liebgewonnenen Regeln der noch existierenden Systeme platt machen möchte. Dabei steht die finanzielle Nachhaltigkeit und die Finanzierungsgerechtigkeit im Vordergrund und soll solidarisch alle entstehenden Kosten einer für alle gerechten Krankenversicherung beinhalten. Dort sind vereint als Versicherte gleichermaßen der Arbeitnehmer, der Beamte, der Abgeordnete und auch der Selbstständige. Natürlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass es ordnungspolitisch und gesundheitsökonomisch doch zugegeben fragwürdig ist, aber sozialpolitisch und solidarisch hoch zu bewerten wäre, wenn es zu einer Vereinigung kommen könnte. Manche Verantwortliche sind absolut dagegen, weil es doch so gut läuft in Deutschland mit dem Gesundheitssystem. – Früher oder später muss sowieso ein einheitlicher Versicherungsmarkt entstehen, weil die Kosten aus dem Ruder laufen. Wer soll dann wem den Rettungsanker zuwerfen? Im Moment sind die Vorteilswahrer und Besitzstandswahrer des Status Quo auf den Barrikaden und bringen ihre Schreckensszenarien zur Bürgerversicherung unters Volk. Aber würde das neue System der Bürgerversicherung wirklich soviel Nachteile bringen und hätte gar keine Vorteile für das Gesundheitssystem und seine Versicherten?

Wenn man die benannte Bürgerversicherung als Anlass nähme einige Schwächen im Gesundheitssystem gleichfalls zu ändern, was dann letztendlich nicht heißt, dass es zwangsläufig auch teuer werden muss. Alle Beitragszahler dieser neuen Versicherung zahlen in einen Topf ein, aus dem dann geschöpft werden kann. Die Kassen der GKV und PKV würden ihre Mitglieder nach den gleichen Festlegungen betreuen. Bestimmte Zusatzleistungen könnten die Privaten weiterhin anbieten, wie Zahnersatz, Kostenübernahme von IGEL etc. Das kann auch tatsächlich dazu führen, dass der Beitragssatz geringer ausfällt. Jeder zahlt seinen Beitragssatz nach der Höhe des Einkommens aus allen Quellen seiner Einnahmen. Die erbrachten Leistungen des Systems wären für alle gleich gut oder zumindest angemessen. Das wäre jedoch erst der Anfang der Veränderungen. Es ist eine Transparenz der Digitalisierung anzustreben, um Doppelbehandlungen und Doppelkosten zu vermeiden. Verbunden damit wäre es, unnötige und belastende Behandlungen für den Patienten zu vermeiden. Erst dadurch ist eine Optimierung des Systems möglich. Dieses wurde derzeit mit der Gesundheitskarte angestrebt, aber in der Konsequenz nicht vollzogen, wobei die Kosten immer in den Vordergrund gedrängt wurden. Klar ist jedoch, dass sich diese gewaltigen Regulierungs- und Kontrollsysteme erst nach vielen Jahren bewähren und sich auch im Vergleich der Kosten-Nutzen-Rechnung durchaus positiv zeigen können.

Es zeigt sich immer wieder, dass sich trotz Verhandlungen der Kassen mit den Pharmaunternehmen, die Medikamentenpreise im Vergleich mit anderen Staaten in Europa sich auf dem höchsten Level bewegen. Geht man seitens der Pharmaunternehmen einfach davon aus in Deutschland, die höchsten Preise im System herauszukitzeln? Die Gewinnmargen dieser Unternehmen mit Gesundheitsprodukten sprechen eine deutliche Sprache. Mit einer Abschaffung der Fallpauschalen für Krankenhäusern würde man sicherlich etliche Schließungen von Krankenhäusern in ländlichen Gebieten vermeiden können. Den Ausgleich dazu müsste der Bund erbringen, der in der Beteiligung jetzt bereits 14,5 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem erbringt. Vielleicht sagen die Experten dazu, dass sich die Bettenkapazitäten auf das gesunde Maß zurück schrumpfen müssen. Für die Menschen ist es ein großer Nachteil, wenn Krankenhäuser in ihrem Wohnbereich schließen müssen. Wenn Ärzte sich unbedingt in Ballungsgebieten ansiedeln wollen, weil sie mehr verdienen möchten, ist dies verständlich. Allerdings müssten die auf dem Land tätigen Ärzte für ihre Leistungen deutlich mehr Geld bekommen, also einen zusätzlichen Bonus als Anreiz für ihr vielfältiges Engagement.

In einer wirklichen Reform des Gesundheitswesens wären die Zustände bei den Diensten von Hebammen, Pflegediensten, Pflegeheimen sowie grundsätzlichen Überlegungen zur Anzahl der Fachkräfte zu überdenken und zu korrigieren. Das wäre finde ich obligatorisch. Allerdings ist es höchst fraglich, ob für die Bürgerversicherung Pharmaunternehmen, Institutionen, Einrichtungen, Ärzte oder auch andere Leistungserbringer einen Solidaritätszuschlag einbringen würden, weil es ja in unserem Gesundheitssystem in erster Linie um das Geldverdienen mit der Gesundheit geht. Als es darum ging die Deutsche Einheit zu finanzieren, wurde dies für alle Bürger in Deutschland beschlossen.

So kann man nur noch konstatieren, dass es wahrhaftig Mut und Weitsicht braucht, um Veränderungen durchzusetzen. Das es geht, sieht man beim Nachbarn Österreich. Dort ist der Anteil vom BIP geringer und ebenfalls die Beiträge der Versicherten. Unsere gesetzlichen Krankenkassen sind als Solidarsystem entstanden, weil sie untereinander einen Risikostrukturausgleich festlegen. Die privaten Krankenkassen könnten sich an dem Risikostrukturausgleich aller Kassen beteiligen und so die solidarische Bürgerversicherung mit unterstützen. Das würde zwar ihre Rücklagen schmälern, jedoch die Solidarität aller Krankenkassen stärken. Und die privaten Krankenkassen würden weiterhin ihre Mitglieder betreuen können, zumal ein Wechsel zwischen den Krankenkassen möglich sein wird. Alle Bürger hätten einen guten Standard der ärztlichen Versorgung und brauchten vielleicht nicht mehr so viel dafür zu bezahlen.

Zurzeit haben die Krankenkassen gute Rücklagen, was einen Systemwechsel begünstigen würde. Die Zustimmung in der Bevölkerung beläuft sich auf knapp 58%. Sollte ein Wechsel politisch nicht möglich sein, reiht sich diese Abwendung von der Entscheidung für die Zukunft ein in eine Auflistung mit dem verkorksten Wohnungsmarkt, der verschobenen Rentenreform und dem ausufernden Arbeitsmarkt. Vorausschau und Weitsicht gehört auch zum politischen Handeln. Wie lautet der Ausspruch von Michail Gorbatschow noch mal, ach ja, „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.

12.01.2018 – WM

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